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„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, formulierte es einst der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein sehr treffend. Mit jeder neuen Chinesisch-Vokabel setzt sich also das mentale China-Puzzle ein Stück weiter zusammen. In unserer Chinesisch-Kolumne bringen wir spannende Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen zur Sprache.
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Sie finden Frauen gehören hinter den heimischen Herd und nicht in den Hörsaal? Heiße Hotpants und dreiste Dekolletés provozieren doch selbst prüdeste Männerseelen und ihre Trägerinnen tragen daher selbst die Verantwortung für alle Konsequenzen? MeToo ist für Sie eine Mache des Mephisto und ein Task für den Teufelsaustreiber? Dann seien Sie jetzt bitte ganz tapfer. Denn Ihre Diagnose lautet: Chauvi-Cancer, leider im Endstadium.
Aber jetzt noch einmal ganz langsam, zum Mitschreiben: 直男癌 zhínán’ái – “straight man cancer” – das ist der Befund, den sich Chines:innen neuerdings kopfschüttelnd zuraunen, wann immer sie auf unverbesserliche Machos und Sexisten treffen. Die Wortneuschöpfung setzt sich zusammen aus dem Zeichen für “Krebs” (癌 ái, in der Langform 癌症 áizhèng) und dem chinesischen Ausdruck für “heterosexueller Mann” (直男 zhínán). Letzterer ist wiederum wörtlich dem englischen “straight man” entlehnt, denn 直 zhí bedeutet “gerade, nicht gekrümmt”. Das Gegenteil ist in der chinesischen Umgangssprache folgerichtig ein “gebogener” oder “krummer Mann” (wie im Englischen “bent man”), nämlich der 弯男 wānnán, also ein “homosexueller Mann”.
Aber zurück zum Macho-Malignom: Dieses wuchert nach Meinung chinesischer Feministinnen (女权主义者 nǚquán zhǔyìzhě) in Männerbirnen, die argumentativ nicht mehr zugänglich und somit “nicht mehr zu retten sind” (auf Chinesisch: 没救 méi jiù). Die Krebsmetapher passt dabei bestens zu einem bereits gut eingebürgerten Sprachrezept. Nämlich der Schimpffloskel 你有病!Nǐ yǒu bìng! – “Du hast eine Krankheit!”. Das ist Chinas Pendant für “Du hast doch nicht mehr alle Tassen im Schrank” oder “Du bist ein Fall für die Klapse”. Im genannten Fall krankt der Patient eben an Chauvinisten-Cancer. Symptome: eine extrem sexistische Einstellung gepaart mit einem übersteigerten Männlichkeitsgefühl.
Das geistige Pascha-Geschwulst hat dabei einiges mit der Medizinmetapher gemein (zumindest in den Augen der Verwender:innen des Kampfbegriffes). So wuchern Macho-Malignome hartnäckig und unkontrolliert, streuen kräftig in alle Denk- und Lebensbereiche und sind unter Y-Chromosom-Trägern eine vermeintliche Volkskrankheit. Heilungsversuche durch feministische Social-Media-Betrahlungstherapie führen leider selten zum gewünschten Erfolg. Im Gegenteil: In China schienen sie die Bildung bösartiger Männlichkeitsmetastasen und den “Genderkrieg” nur noch weiter zu befeuern. Im Netz holte Chinas Macho-Männerwelt (大男子 dànánzǐ “Macho, Chauvinist”) nämlich verbal zum Gegenschlag aus und prägte das Gegenschlagwort des "feminist cancer" (女权癌 nǚquán’ái), das chinesische Äquivalent zum englischen "Feminazi", ein Kofferwort aus “feminist” und “Nazi”.
Wer sich in die Debatte zu sehr hineinsteigert, läuft – unabhängig vom Chromosomentyp – übrigens Gefahr, sich noch mit einer anderen chronischen Malaise zu infizieren: Männer- oder Frauenhass. Im chinesischen Internetjargon ist auch dieser linguistisch pathologisiert, nämlich als “Männer-” beziehungsweise “Frauenhasssyndrom” (厌男症 yànnánzhèng / 厌女症 yànnǚzhèng).
Aber wenn wir schon mal dabei sind, klopfen wir doch enthusiastisch den Staub aus den Polstern und schauen, welche Männerexemplare potentiell noch so auf unserer sprachlichen Therapiecouch Platz nehmen könnten. Denn die chinesische Internetsprache hat in den letzten Jahren eine umfassende Typen-Typologie mit kreativen Gattungsbezeichnungen entwickelt.
Im Folgenden eine Auswahl der begrifflichen Herren-Highlights:
1. 普信男 pǔxìnnán – der selbstbewusste Normalo
Diese Typenbezeichnung wurde von der feministischen Stand-up-Komödiantin Yang Li (杨笠 Yáng Lì) geprägt und hat sich mittlerweile zu einem festen sprachlichen Label gemausert. Gemeint sind Selbstbewusstseinsbolzen, die letztlich nichts auf dem Kasten haben. Große Klappe, wenig dahinter also. Ganz wie der chinesische Begriff schon sagt: ein “stinknormaler” (普 pǔ von 普通 pǔtōng “gewöhnlich, mittelmäßig”) aber “superselbstsicherer” (信 xìn von 自信 zìxìn “selbstbewusst”) Mann (男 nán).
2. 妈宝男 mābǎonán – das Muttersöhnchen
Mama ist die Beste, hat immer Recht und verwöhnt im Gegenzug ihren Sprössling nach Strich und Faden bis ins Erwachsenenalter? Diese Beschreibung trifft eins zu eins auf unser Muttersöhnchen zu, auf Neuchinesisch leicht abgewandelt zum “Mamaschätzchen” (妈宝 mābǎo - von 妈 mā “Mama” und 宝 bǎo “Schatz, Schätzchen”).
3. 凤凰男 fènghuángnán – der Phönixmann
Er ist “aus der Asche emporgestiegen” und hat es im Erwachsenenalter zu Glanz und Gloria gebracht – der Phönixmann (von 凤凰 fènghuáng “Phönix”). So nennt man in China Männer, die sich aus einfachen bis ärmlichen Verhältnissen durch Köpfchen, zähen Fleiß und gute Schulbildung mühsam emporgearbeitet und die sich später bis in die Dachgiebel der Metropolenwolkenkratzer aufgeschwungen haben. Leider holt diese Herren die Erinnerung aus dem Hühnerstall der Vergangenheit allzu oft ein, und zwar in Form von Minderwertigkeitskomplexen. Und diese versuchen sie dann durch mannigfaltige Marotten zwanghaft zu kompensieren oder zu übertünchen, beruflich wie privat. Auch hier also ein klarer Fall für die Männercouch.
4. 软饭男 ruǎnfànnán – der Softreis-Gigolo
Dieser Beau nutzt seinen Charme, um betuchte Ladies um den Finger zu wickeln und sich von ihnen durchfüttern zu lassen. Auf Chinesisch heißt das “weichen Reis essen” (吃软饭 chī ruǎnfàn). Wir haben es also mit einem opportunistischen und fügsamen “Softreis-Gigolo” (软饭男 ruǎnfànnán) zu tun.
5. 甘蔗男 gānzhènán – der Zuckerrohr-Rowdy
Diesem Zuckerstück sollten Sie nicht auf den Leim gehen! Der Zuckerrohr-Rowdy gibt sich zwar als Softie - auf Chinesisch streng genommen eigentlich als “Warmie” (暖男 nuǎnnán für “Softie, Frauenversteher”). Tatsächlich aber hat er es faustdick hinter den Ohren und ist ein waschechter “Krümelmann” (渣男 zhānán), ein untreues Charakterschwein also. Und was hat das mit Zuckerrohr (甘蔗 gānzhè) zu tun? Nun, wer schon einmal an frischen Zuckerrohrstauden gekaut hat – in China ein beliebter Sommerstraßensnack – der weiß ein Lied davon zu singen: am Anfang sind die Bissen süß und saftig, doch am Schluss verbleiben nur noch krümelige, ungenießbare Fasern im Mund, die es bei nächster Gelegenheit auszuspeien gilt.
6. 画饼男 huàbǐngnán – der Kekskünstlerkerl
Und zu guter Letzt: der Kekskünstlerkerl. Hochzeit, Auto, Wohnung - dieser Bursche verspricht Bellas das Blaue vom Himmel. Am Schluss stellen sich alle Lockrufe aber nur als Luftschlösser heraus, weil der Möchtegern-Macker seine Versprechen gar nicht einlösen kann. Auf Chinesisch nennt man solche leeren Versprechungen und unrealistischen Hoffnungen “einen Kuchen malen” (auch: einen Kecks oder ein Fladenbrot zeichnen – 画饼 huàbǐng). Der entsprechende Männertyp wurde deshalb von der Netzgemeinde “Kuchenmalmacker” oder “Kekskünstlerkerl” – sprich 画饼男 huàbǐngnán – getauft. Auch in Anlehnung an das alte chinesische Sprichwort 画饼充饥 huàbǐng-chōngjī “mit gemalten Fladen den Hunger stillen” – auf gut Deutsch: sich zum Trost selbst etwas vormachen.
Und welche Typen toben so durch Ihren Kollegen- oder Bekanntenkreis? Es fehlt Ihnen jetzt sicher noch eine weibliche Wesenstypologie als Handbuch. Auch die ließe sich natürlich auf Chinesisch erstellen – aber das ist ein Fall für eine weitere Sprachkolumne.
Von Verena Menzel
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