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„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, formulierte es einst der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein sehr treffend. Mit jeder neuen Chinesisch-Vokabel setzt sich also das mentale China-Puzzle ein Stück weiter zusammen. In unserer Chinesisch-Kolumne bringen wir spannende Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen zur Sprache.
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Ich lass mich doch nicht zum Topfträger machen! Vielleicht sollten Sie dieses Sätzchen beim nächsten Mal einfach als Nebelkerze in den Raum werfen, wenn Sie mal wieder jemand zum Sündenbock machen will. Dieses Sprachmanöver sorgt sicherlich erst einmal für Verwirrung und Sie gewinnen Zeit, um den zugeschobenen schwarzen Peter wieder loszuwerden. Falls Nachfragen kommen: einfach cool bleiben und fachmännisch erklären, dass man in China eben nicht den schwarzen Peter zugeschoben bekommt, sondern einen „schwarzen Topf tragen“ muss (背黑锅 bēi hēiguō). Das sollen die anderen dann erst mal googlen (beziehungsweise baidu-en).
Ursprünglich war 背锅 bēiguō („einen Topf tragen“) in manchen Gegenden Chinas die umgangssprachliche Umschreibung für einen Buckligen (stellen Sie sich einfach jemanden vor, der einen großen Wok auf dem Rücken herum trägt, dann festigt sich das Bild). „Schwarztopf“ (黑锅 hēiguō) galt derweil als Synonym für „Sündenbock“ (komplizierte Geschichte, die mit Gleichlauten und dialektalen Einflüssen zu tun hat – ich erspare Ihnen hier die Details). Jedenfalls hat man in der Netzgemeinde beide Begriffe neuerdings fröhlich zu 背黑锅 bēi hēiguō („den schwarzen Topf tragen“) kombiniert und dann zu 背锅 bēiguō „den Topf tragen“ verkürzt. Gebuckelte Sündenböcke sind schließlich prima meme-tauglich. Et voilà – geboren war der chinesische Trendbegriff für „den Sündenbock spielen“.
Das Gegenstück ist übrigens 甩锅 shuǎiguō – den Topf „abschütteln“ oder „abwerfen“, sprich anderen den schwarzen Peter unterjubeln. Solches „Abschütteln“ geht auf Chinesisch sprachlich auch prima mit anderen Dingen. Zum Beispiel Personen: 甩人 shuǎirén („jemanden abschütteln“) heißt „jemandem den Laufpass geben“.
Schauen wir den Chinesen aber lieber noch ein bisschen in die Töpfe. Denn das lohnt sich sowohl sprachlich als auch kulturell und kulinarisch. Einer der bekanntesten Töpfe ist unbestritten der „Feuertopf“ (火锅 huǒguō), gemeinhin auch als Hotpot bekannt. Doch haben Sie schon einmal von Mandarinenten-Töpfen (鸳鸯锅 yuānyangguō) gehört? Keine Bange, hier ist der Name nicht Programm. Es kommt nämlich kein buntes Federvieh in die Suppe. Gemeint ist vielmehr spezielles Topf-Geschirr. Das Wort bezeichnet Fonduetöpfe mit Trennwand, die Platz für zwei Brühen statt nur einer lassen (zum Beispiel eine entschärfte milde Brühe für Feuertopf-Einsteiger). Mandarinenten (鸳鸯 yuānyang) gelten in China als Symbol für unzertrennliche Liebende. Und auch die beiden Brühen, die ja nur durch eine Zwischenwand getrennt werden, sind gewissermaßen unzertrennlich, brodeln sie doch in einem gemeinsamen Topf. Noch ein kleiner Hinweis für Feuertopf-Neulinge: Wundern Sie sich nicht, wenn die chinesische Bedienung fragt, ob Sie ihren „Topfboden“ (锅底 guōdǐ) schon gewählt hätten. Im Hotpot-Jargon ist damit nämlich die Brühe gemeint und nicht etwa die untere Topfbeschichtung.
In vielbevölkerten Feuertopfrestaurants geht es mitunter turbulent zu, insbesondere wenn man sich die Zutaten am Selbstbedienungsbuffet abgreifen kann. Da herrscht manchmal völliges Tohuwabohu, oder wie der Chinese topfgemäß sagen würde: es ist „so chaotisch wie ein Topf Reisbrei“ (乱成一锅粥 luàn chéng yī guō zhōu – „völliges Chaos, großes Tohuwabohu“). Liegen dann bei der Schlacht am Buffet angesichts hungriger Mägen die Nerven blank, erhitzen Drängeleien schon mal die Gemüter und bringen das Fass zum Überlaufen – pardon: „den Topf zum explodieren“ (炸锅 zhàguō), was wir wohl eher mit „für Aufruhr sorgen“ oder „einen Tumult verursachen” übersetzen würden.
Zum Abschluss noch einige erheiternde Formulierungen, bei denen wir wahrscheinlich ebenfalls erst einmal nur Bahnhof verstehen, wenn chinesische Bekannte sie aus dem Topf zaubern:
Es zeigt sich also mal wieder: Jeder Situationstopf findet im Chinesischen den passenden Sprachdeckel!
Von Verena Menzel
吃火锅
chī huǒguō
Feuertopf essen ... in 20 Worten
diēwèir
"Daddy-Duft"
àirén
"iMenschen"
fàngyáng
"das Schaf rauslassen"
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"Rollen-Kollaps"
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"Tigerrücken & Bärentaille"
bānzhuān
"Backsteine schleppen"
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"Chauvi-Cancer"
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"Poseidon-Playboy"
hěn cài
"Voll gemüsig"
xiānán
"Garnelen-Guys"
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"Anzügliche Autofahrten"
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"Besuchsmarathon"
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"Hasenjahr"
huángtáo guàntóu
"eingelegte Pfirsiche"
tuōkǒuxiù
"Stand-up-Comedy"
bēiguō
"Topfträger"
dàijià
"Vertretungsfahrer"
xiéyīngěng
"Wortspiele"
guāzǐliǎn
"Guazi-Kult"
zhìyù
"So geht Entschleunigung in China"
fàng gēzi
"Tauben fliegen lassen"
tiàocáo
"Futtertrog-Hopping"
diàndēngpào
"(überflüssige) Glühbirne"
hǔnián
"Tiger, Tiger, Tiger"
bàofùxìng xiāofèi
"Rachekäufe"
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"YYDS"
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"Doppelelffest"
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"Pssst!"
sùliào pǔtōnghuà
"Plastikchinesisch"
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"Fannudeln"
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"Ruhetagwechsel"
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"Sojasoße schlagen"
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"Mengmania"
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"Gräschen pflanzen"
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"flachliegen"
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"Fische tätscheln"
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"Eisärmel"
kěn shēngròu
"rohes Fleisch nagen"
fán'ěrsài
"einen auf Versailles machen"
máodùn
"Von wegen Gegensätze"
bǐxīn
"Herzensschnipper"
duō hē rèshuǐ
"Trinkt mehr warmes Wasser!"
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"gegrünt werden"
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"Aufgehuhnte Kinder"
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"Chinesische Emoticons"
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"Gendern auf Chinesisch"
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"Essens-Livestream"
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"Influencer, Internetstars"
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