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„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, formulierte es einst der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein sehr treffend. Mit jeder neuen Chinesisch-Vokabel setzt sich also das mentale China-Puzzle ein Stück weiter zusammen. In unserer Chinesisch-Kolumne bringen wir spannende Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen zur Sprache.
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Wurden Sie als Kind „gehuhnt“? Oder „huhnen“ Sie vielleicht gerade den eigenen Nachwuchs? Sollten Sie jetzt verständnismäßig wie „das Huhn vorm Berg“ stehen, keine Sorge! Da geht es Ihnen nämlich nicht anders als wohl den meisten Chinesen, die den Begriff 鸡娃 jīwá – wörtlich „Kinder huhnen“ – zum ersten Mal hören.
Doch ein Verweis auf die Wortherkunft macht für Muttersprachler schnell klar, was gemeint ist: Das „Huhn“ ist hier der bekannten chinesischen Redensart 打鸡血 dǎ jīxiě entlehnt, wörtlich „sich Hühnerblut injizieren“ oder dieses injiziert bekommen. Dieses „geflügelte Wort“ steht als Synonym für „aufgekratzt/aufgedreht sein“ bzw. sich oder andere „pushen/anfeuern“. Es soll auf den – natürlich längst verworfenen – alten Volksirrglauben zurückgehen, man könne sich durch das Spritzen von Hühnerblut den Elan eines aufgescheuchten Hühnchens in die Blutbahn jagen.
Natürlich ist das Quatsch. Doch die Redewendung hat sich trotzdem bis heute gehalten. Und neuerdings wird sie kreativ übertragen, nämlich auf ein aktuelles Phänomen, das zunehmend unter aufgescheuchten chinesischen Eltern der Mittel- und Oberschicht zu beobachten und dem großen gesellschaftlichen Konkurrenzdruck in Chinas Großstädten geschuldet ist. Seine „Kinder aufhuhnen“ – oder besser gesagt sie ordentlich „pushen“ – bedeutet nichts anderes, als enorme zeitliche und finanzielle Ressourcen zu mobilisieren, um dem Nachwuchs im Rennen um die begehrten Plätze an Eliteuniversitäten wie Tsinghua, Renmin-Daxue oder Pekinguniversität früh einige Zentimeter Vorsprung zu verschaffen. Das beginnt schon im Kindergartenalter und reicht bis zur chinesischen Hochschulaufnahmeprüfung Gaokao. Beliebte „Aufhuhner“ sind Turbo-Nachhilfe, teure außerschulische Nachmittags- und Wochenendkurse jeglicher Spielart (Piano, Ballett, exotische Fremdsprachen, Baseball, logisches Denken und wer weiß nicht was) oder aufwendige Ferienexkursionen, die manchmal bis zum Nord- oder Südpol reichen.
Doch die Wortneuschöpfung gibt nicht nur Einblick in die gestresste chinesische Elternseele, sondern verrät auch etwas über den Charme der chinesischen Sprache! Denn im Chinesischen sind die Grenzen zwischen Wortklassen noch immer oft fließend, was auf das sprachliche Erbe des Altchinesischen zurückgeht, wo es einst praktisch gar keine Unterscheidungen zwischen Gattungen wie Substantiv, Adjektiv oder Verb gab. Im modernen Putonghua sind Wörter zwar längst nicht mehr so biegsam wie einst. Sie lassen sich in der Regel wenigen Wortartkategorien zuordnen, in denen sie standardmäßig auftauchen. Doch gibt es eben dennoch oft Überschneidungen, sodass Nomen oft auch lässig als Adjektiv oder Verb verwendet werden können. Die neueste Wortschöpfung 鸡娃 jīwá (wörtl. „Huhn“ plus „Kleinkind“), wo das Huhn einfach zu „huhnen“ wird, zeigt, dass chinesische Muttersprachler diesen Sprachspielraum erfrischend kreativ nutzen. Bleibt nur die Frage: Und wen „huhnen“ Sie so?
Von Verena Menzel
dǎ jīxiě
"total aufgedreht/wie gedopt sein"
diēwèir
"Daddy-Duft"
àirén
"iMenschen"
fàngyáng
"das Schaf rauslassen"
rénshè bēngtā
"Rollen-Kollaps"
hǔbèi-xióngyāo
"Tigerrücken & Bärentaille"
bānzhuān
"Backsteine schleppen"
zhínán’ái
"Chauvi-Cancer"
hǎiwáng
"Poseidon-Playboy"
hěn cài
"Voll gemüsig"
xiānán
"Garnelen-Guys"
kāichē
"Anzügliche Autofahrten"
chuànmén
"Besuchsmarathon"
tùnián
"Hasenjahr"
huángtáo guàntóu
"eingelegte Pfirsiche"
tuōkǒuxiù
"Stand-up-Comedy"
bēiguō
"Topfträger"
dàijià
"Vertretungsfahrer"
xiéyīngěng
"Wortspiele"
guāzǐliǎn
"Guazi-Kult"
zhìyù
"So geht Entschleunigung in China"
fàng gēzi
"Tauben fliegen lassen"
tiàocáo
"Futtertrog-Hopping"
diàndēngpào
"(überflüssige) Glühbirne"
hǔnián
"Tiger, Tiger, Tiger"
bàofùxìng xiāofèi
"Rachekäufe"
yǒngyuǎn de shén
"YYDS"
shuāngshíyī
"Doppelelffest"
xxxu
"Pssst!"
sùliào pǔtōnghuà
"Plastikchinesisch"
fěnsī
"Fannudeln"
tiáoxiū
"Ruhetagwechsel"
dǎ mǎsàikè
"ein Mosaik legen"
dǎ jiàngyóu
"Sojasoße schlagen"
pèngcí
"Porzellan anstoßen"
báicàijià
"Chinakohlpreise"
biāotídǎng
"Klickköder-Clique"
wūlóngqiú
"Oolong-Tor"
fānchē
"Karriere-Crash"
xuéxí-ing
"lern"-ing"
méng
"Mengmania"
zhòngcǎo
"Gräschen pflanzen"
tǎngpíng
"flachliegen"
mōyú
"Fische tätscheln"
bīngxiù
"Eisärmel"
kěn shēngròu
"rohes Fleisch nagen"
fán'ěrsài
"einen auf Versailles machen"
máodùn
"Von wegen Gegensätze"
bǐxīn
"Herzensschnipper"
duō hē rèshuǐ
"Trinkt mehr warmes Wasser!"
bèi lǜ le
"gegrünt werden"
jīwá
"Aufgehuhnte Kinder"
biǎoqíng
"Chinesische Emoticons"
TA
"Gendern auf Chinesisch"
chībō
"Essens-Livestream"
wǎnghóng
"Influencer, Internetstars"
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