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„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, formulierte es einst der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein sehr treffend. Mit jeder neuen Chinesisch-Vokabel setzt sich also das mentale China-Puzzle ein Stück weiter zusammen. In unserer Chinesisch-Kolumne bringen wir spannende Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen zur Sprache.
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Es ist Fußball-EM. Aktuell wird also auf dem Platz wieder scharf geschossen. Leider lassen die heftigen Zweikämpfe auf dem Rasen jenseits des Spielfeldes zahlreiche Fußballwitwen zurück. Glücklicherweise geht es hier nicht um tatsächliche Trauerfälle. Denn der Gatte dreht sich nicht im Grabe herum, sondern allerhöchsten auf der Couch … oder er grölt quicklebendig im Stadion … oder er trötet und bechert höchst vital beim Public Viewing.
In mancher Wohnstube herrscht trotzdem Grabesstimmung, da das Torfieber bei FIFA-Fußballfesten schon mal das Liebesleben abtöten kann. Schließlich haben viele Männer in diesen Tagen nur noch Augen für Lederbälle und Fußballerbeine. Die Chinesinnen haben aus dieser Not heraus den Begriff der Fußballwitwe geboren (足球寡妇 zúqiú guǎfu) – eine augenzwinkernde Selbstbezeichnung, mit der linksliegengelassene Partnerinnen dem herzlosen Herzblatt verbal die gelbe Karte zeigen. Die lässt sich aber natürlich auch umgekehrt zücken! Wenn Ladies das Soccer-Fieber packt, werden männliche Fußballmuffel auch schon mal zum Fußballwitwer (足球寡夫 zúqiú guǎfū – man beachte hier die unterschiedliche Schreibweise mit dem Zeichen 夫 fū wie in 丈夫 zhàngfu „Ehemann, Gatte“, ansonsten heißt Witwer auch 鳏夫 guānfū).
Rund um den Rasen rasen im Mandarin auch noch jede Menge andere drollige Redensarten durchs Vokabelregister. Wundern Sie sich nicht, wenn chinesische Kommentatoren Ihnen etwas von Teetoren, Kuhschwänzen und Butterfingern erzählen. Das ist regelkonform! Hier der Vokabelbeweis in der Zeitlupe:
Kommt das Runde ins falsche Eckige – sprich es zappelt ein Eigentor im Netz – sprechen Chinesen von einem Oolong-Ball (乌龙球 wūlóngqiú). Land der Teetrinker hin oder her, was bitte haben fermentierte Teeblätter mit frenetischem Ballsport zu tun? Nun, das hat China der Kreativität seiner Hongkonger Fußballfans zu verdanken. Die nämlich erinnerte der englische Begriff „own goal“ lautlich an das chinesische Wort „wūlóng“. Und da es im Raum Hongkong-Guangdong just den regionalen Ausdruck 摆乌龙 bǎi wūlóng für „etwas vermasseln“ gibt (wörtlich „Oolong schwenken“), brachten die Ballsportfreunde kurzerhand beides zusammen und tauften das Eigentor „Oolong-Tor“, ein „Vermasseltor“ also.
Während in unseren Breiten manchmal ein „Underdog“ die Siegesserie der Großen durchbeißt, galoppieren in China „schwarze Pferde“ am vermeintlichen Favoriten vorbei. 黑马 hēimǎ („Rappe“) nennt man auf Chinesisch nämlich Außenseiter, die zum Favoritenschreck werden. Beteiligt sind daran manchmal auch Butterhände (黄油手 huángyóushǒu). Sie gehören zu unglücklichen Torhütern, denen die Bälle nur so durch die Finger flutschen und dann ins Tor abschmieren.
Keeper haben es ohnehin nicht wirklich leicht. Zum Beispiel, wenn Stürmer ihnen einen auf den Kopf gestellten „goldenen Haken“ vor die Nase hämmern. 倒挂金钩 dàoguà jīngōu (wörtlich: „umgekehrt aufgehängter Goldhaken“) ist das chinesische Pendant für einen „Fallrückzieher“ (der auf Englisch übrigens „bicycle kick“, also „Fahrradkick“ heißt – auch kreativ!). Wer gleich drei solcher Kunststückchen ins Tor hämmert, der legt einen Hütchen-Trick hin (帽子戏法 màozi-xìfǎ, von 帽子màozi „Hut, Mütze“ und 戏法 xìfǎ „Kunststück, Taschenspielertrick, Magie“). Hütchen-Hokuspokus ist damit eine quasi Eins-zu-Eins-Übersetzung des aus dem Englischen stammenden „Hattrick“.
Auch für Dribbling-Finten, mit denen Ballkünstler den Gegner entzaubern, zaubert das Chinesische magische Metaphern aus dem Hut. Sie wollen beim nächsten Fußballabend mit chinesischen Freunden mal so richtig angeben? Dann memorieren sie einfach folgendes Vokabelrepertoire zur Beschreibung von Ballkünsten:
Manche Turteltäubchen, die gedacht haben, sie könnten das Trauergewand nach dem EM-Finale dauerhaft in die Mottenkiste packen, werden eventuell enttäuscht. Denn in China weiß man: neben Fußballwitwen gibt es im Beziehungsalltag trauriger Weise auch noch jede Menge andere Trauerfälle, in denen man seines Partners beraubt wird. Da wären zum Beispiel einsame Aktien-Witwen (股票寡妇 gǔpiào guǎfu – wenn dem Mann nur noch Aktienkurse im Kopf herumschwirren) oder Onlinespiel-Witwen (网游寡妇 wǎngyóu guǎfu – wenn er nur noch am Zocken ist). Doch auch für die Herren der Schöpfung wird das Eheleben manchmal zum Trauerspiel. So klagen rund um das Doppelelf-Shopping-Fest in China die Doppelelf-Witwer (“双11”寡夫 shuāng-shíyī guǎfu) ihr Leid – wegen des Liebesentzugs der im Kaufrausch benebelten Liebsten.
Manch einer ertränkt seinen Kummer in solchen Fällen in Hochprozentigem. Das mag manchmal tröstlich sein. Strohwitwer und Strohwitwen in aller Welt seien jedoch gewarnt vor dem Verzehr von „Witwenschnaps“ (喝寡酒 hē guǎjiǔ „Witwenschnaps trinken“). Damit bezeichnet man im Mandarin doch tatsächlich bierernst das Bechern auf leeren Magen. Und das ist ja – wie wir alle wissen – nicht wirklich zu empfehlen. Weil man am Ende damit möglicherweise den Schlusspfiff verpasst, und zwar nicht nur in EM-Zeiten sondern in allen Lebenslagen.
Von Verena Menzel
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