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„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, formulierte es einst der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein sehr treffend. Mit jeder neuen Chinesisch-Vokabel setzt sich also das mentale China-Puzzle ein Stück weiter zusammen. In unserer Chinesisch-Kolumne bringen wir spannende Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen zur Sprache.
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Im Alltagstrott stapfen Sie durch die Fußgängerzone oder daddeln beim Schlangestehen an der Supermarktkasse gelangweilt am Handy … und dann das! Die Rücken-Silhouette eines gut gebauten Beau oder einer verführerischen Schönheit bringt Ihr Blut in Wallung und romantische Phantasien ins Rollen. Sie sind gedanklich schon auf der Suche nach einer pfiffigen Flirt-Punchline, doch dann: cut. Die Realität stellt Sie unter die kalte Dusche. Das Blatt wendet sich nämlich genau in dem Moment, als der beziehungsweise die schöne Fremde sich Ihnen zuwendet … und sich in der Vorderansicht als herbe Enttäuschung herausstellt.
Schon mal erlebt? Beim nächsten Mal müssen Sie beim Teilen einer solchen Story nicht mehr lange in der Wortkiste wühlen. Denn im Chinesischen gibt es einen passenden Begriff für genau dieses Szenario. 背影杀 bèiyǐngshā – wörtlich „Rückensilhouettenmord“ (von 背 bèi „Rücken“, 影 yǐng „Schatten, Silhouette“ und 杀 shā „töten, killen“) lautet das Zauberwort. Es bringt in drei Silben genau das auf den Punkt, wofür man im Deutschen (sowie wohl auch in den meisten anderen Sprachen) einen kompletten Satz benötigt: das Zusammentreffen mit einem Mann/einer Frau, der/die nur von hinten gut aussieht (oder als Eselsbrücke einfach: hinten hui, vorne pfui). Und auch für die beschriebenen Protagonisten und Protagonistinnen, die romantischen Phantasien per Kehrtwende den Dolchstoß verpassen, gibt es im Chinesischen einen eigenen Namen, nämlich 背影杀手 bèiyǐng shāshǒu – Rückenansichtskiller.
Im chinesischen Slang lauern uns übrigens noch weitere solcher „Killer“ mit raffinierten Mordwerkzeugen oder mörderischen Strategien auf, die der Liebe auf den zweiten Blick ein jähes Ende bereiten. Auch für sie haben die Chinesen schlagfertiges Vokabular zur Beweissicherung definiert.
Im Profiling der visuellen Trickbetrüger kennt das Chinesische zum Beispiel noch den Mittelscheitelkiller (中分杀手 zhōngfēn shāshǒu). Gemeint sind – meist weibliche – Zeitgenossen, die ihre lange Mähne durch einen akkuraten Mittelscheitel (中分刘海 zhōngfēn liúhǎi) zielsicher genau so steuern, dass die Haare einen Großteil der äußeren Wangenpartie bedecken, wodurch der Anschein eines schmalen Gesichts geweckt wird – und das gilt in China als Schönheitsideal.
Einer Frisurenmasche bedient sich auch ein weiterer Schurke, nämlich der Pony-Killer (刘海杀手 liúhǎi shāshǒu) – gemeint sind natürlich Ponys auf der Stirn und nicht im Stall. Dieser modische Kniff kaschiert gekonnt eine unschöne oder unreine Stirnpartie und gaukelt so dem Betrachter auf Fotos oder in Natura makellose Schönheit vor. Endgegner für Pony-Mörder sind aber leider unerwartete Windböen, doch das nur am Rande. Und: Mittelscheitel- und Ponymord lassen sich natürlich auch super zum Serienmord – sprich doppelter Anwendung – kombinieren. Aber das ist nur etwas für Profikiller.
Auf der Fahndungsliste der Optikpolizei findet sich außerdem noch der Sonnenbrillenmord (墨镜杀 mòjìngshā). Dabei werden schwarze Panda-Augenringe nach durchzechten Nächten oder tiefhängende Tränensäcke nach durchlebten Leben durch verdunkelte Gläser kaschiert und so jugendliche Frische vorgetäuscht. Unter Cyperkriminalität fallen dagegen die perfiden Tricks der Selfie-Killer (自拍杀手 zìpāi shāshǒu), die digitale Filter und Bildbearbeitung so meisterhaft beherrschen, dass sie uns im On-/Offline-Vergleich bei der ersten realen Begegnung ein böses Erwachen bescheren. Und spätestens seit Corona sorgt auch der Mund- und Nasenschutzmörder (口罩杀手 kǒuzhào shāshǒu) für den einen oder anderen Realitätsschock, wenn neue Bekanntschaften bei überschaubarem Infektionsgeschehen erstmals lasziv die Maske abstreifen und uns so die Kugel geben.
Wie es Kriminalfälle manchmal so an sich haben, nimmt unsere mörderische Sprachgeschichte am Schluss aber sogar noch eine überraschende semantische Wendung. Denn neuerdings wird der „Rückenanblickskill“ auch als Kompliment gebraucht! Chinesischen Wortakrobaten ist es mittlerweile oft schnuppe, ob sich hinter einem perfekten Rücken am Ende auch tatsächlich ein ähnlich entzückendes Gesicht verbirgt. 背影杀 bèiyǐngshā wird deshalb auch als Kompliment verwendet für alle Augenschmäuse, die schmachtenden Betrachtern allein schon durch ihre perfekte Rückansicht den Rest geben (sodass der Vorderanblick uns eigentlich auch gestohlen bleiben kann). 背影杀 bèiyǐngshā ist in China mittlerweile sogar Namenspate für ein eigenes Fotogenre, bei dem entzückende Rückenansichten im Fokus stehen. Als verwandte Begriffe haben sich auch noch der „Smilekiller“ (微笑杀 wēixiàoshā) – jemand der mit einem unwiderstehlichen Lächeln die Umwelt gefügig macht – sowie die „Profilkiller“ (mit „l“ für Profil) durchgesetzt – Mitmenschen oder Stars mit einem unwiderstehlichen Gesichtsprofil (侧颜杀 cèyánshā) beziehungsweise mit einer unschlagbaren seitlichen Silhouettenansicht (侧影杀 cèyǐngshā).
Vielleicht sollten wir aber auch gar nicht so ein Mordsaufheben um alle Optik machen. Schließlich hat ja jeder auch so seine Schokoladenseite – alles nur eine Frage des Blickwinkels eben.
Von Verena Menzel
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