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„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, formulierte es einst der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein sehr treffend. Mit jeder neuen Chinesisch-Vokabel setzt sich also das mentale China-Puzzle ein Stück weiter zusammen. In unserer Chinesisch-Kolumne bringen wir spannende Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen zur Sprache.
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Sie sind im Job eingezäunt von Leitz-Ordnern und Büroablagen, grasen nur fade Kantinen-Salatblätter, tränken sich in der kargen Kaffeeküche und der Chef schärt Ihnen mit seinen strikten Zeitplänen und dem mickrigen Gehalt ordentlich den Pelz? Dann wird es Zeit, dass Sie schuftendes Schäfchen mal wieder auf die Weide gelassen werden!
Im chinesischen Neusprech heißt das 放羊 fàngyáng – ein Schaf / die Schafe weiden lassen (von 放 fàng wie in 解放 jiěfàng „freilassen, befreien“ und 羊 yáng „Schaf“ oder „Ziege“). Das Schaf rauslassen ist also ein Synonym dafür, Auslauf zu haben beziehungsweise sich frei austoben zu können – zum Beispiel wenn der Chef außer Haus ist. Dann tanzen ja die Mäuse bekanntlich auf dem Tisch (oder springen eben die Schäfchen und Geißlein auf der Wiese). Vergessen Sie also ab und an drohende Deadlines und alle Alltagsabläufe und springen Sie stattdessen zu saftigen Halmen und über sattgrüne Hügel.
Auf Chinesisch lässt sich übrigens noch so einiges andere mit dem Verb 放 fàng kombinieren und damit los- oder freilassen. Zum Beispiel Drachen (放风筝 fàng fēngzheng „einen Drachen steigen lassen“) oder Feuerwerkskracher (放鞭炮 fàng biānpào, kurz 放炮 fàngpào). Wer richtig Getöse machen will, der lässt gleich fette Böller los (放大炮 fàng dàpào), im übertragenen Sinne heißt das „spuckt große Töne“.
Aber auch die Schulbank und das Lernen kann man in China „loslassen“, das heißt dann 放学 fàngxué „Unterrichtsschluss haben“. Die arbeitende Bevölkerung lässt derweil gerne den Ferien „freien Lauf“ (放假 fàngjià „Ferien machen, Urlaub haben“). Und machen wir uns nichts vor: Auch ein Lüftchen kann sich im Büro mal Bahn brechen (放屁 fàngpì „einen fahren lassen, pupsen“) oder – noch unangenehmer – ein „kalter Wind“ in Umlauf kommen (放冷风 fàng lěngfēng „Gerüchte streuen“). An der Tischtennisplatte wird im Pingpong-Paradies China derweil auch schon mal „Wasser abgelassen“ (放水 fàngshuǐ), sprich man spielt auf Sparflamme und lässt dem weit unterlegenen Gegner hin und wieder auch ein paar Gnadenpünktchen, um ihn nicht ganz so alt aussehen zu lassen. Kurzum: man verwässert sein eigenes Spiel.
Wenn Sie das nächste Mal beim Büro-Nickerchen eine Einschlafblockade haben, erweitern Sie statt Schäfchen zu zählen doch einfach ihre Mandarin-Vokabelherde mit zusätzlichen scha(r)fen Sprachblüten. Zum Warmwerden vielleicht zunächst ein paar Mal „yǎng yáng“ sagen, um die Lippen zu lockern. Das heißt nämlich „Schafe züchten“ (noch mal: 养羊 yǎng yáng). Vorausgesetzt, Sie treffen die Töne richtig. Sonst wird daraus nämlich irrtümlich ein „Jucken“ (痒痒 yǎngyang). Aber Sie wollten sich wahrscheinlich ohnehin gerade verzweifelt am Kopf kratzen.
Selbst mit einem resignierten „Mäh!“ kann man sich als Langnase in China übrigens bei Aussprachehängern nicht aus der Affäre ziehen. Denn „Mäh!“ verstehen in China weder Menschen noch Schafe, weil letztere auf den Weiden im Reich der Mitte „miē!“ machen. Für diese tierische Lautmalerei gibt es im Mandarin mit 咩 sogar ein eigenes Schriftzeichen!
Zum Abschluss noch ein paar wollige Vokabeln, mit deren Beherrschung Sie Ihre Chinesisch-Schäfchen definitiv ins Trockene bringen:
Wer denkt, das war’s jetzt, und wir seien als deutschsprachige Chinesischlerner in Sachen Schafs-Jargon noch einmal ungeschoren davongekommen, für den habe ich leider noch eine sprachliche Hiobsbotschaft. Insbesondere für all diejenigen, die in den Jahren 1955, 1967, 1979 oder 1991 geboren sind und damit im Jahr des Schafs (羊年 yángnián) … oder doch eher im Jahr der Ziege? An dieser Übersetzungsfrage scheiden sich nämlich selbst in China die Geister, da nicht eindeutig geklärt ist, ob das Tierkreiszeichen 羊nun auf die Ziege (山羊 shānyáng) oder das Schaf (绵羊 miányáng) verweist.
Wie dem auch sei: Glücklicherweise steht das nächste Yang-Jahr ja erst 2027 an. Es bleibt also noch genügend Zeit für sprachliche Feldforschung und Übersetzungsknobelei. Und letztlich macht es am Ende wohl auch keinen Unterschied, ob man nun als drahtige Bergziege oder als wolliges Weideschaf auf saftigem Grün „das Schaf rauslässt“ – Hauptsache ist doch, man hat im Alltag genügend Auslauf.
Von Verena Menzel
Jahr des Schafes oder Jahr der Ziege?
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