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„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, formulierte es einst der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein sehr treffend. Mit jeder neuen Chinesisch-Vokabel setzt sich also das mentale China-Puzzle ein Stück weiter zusammen. In unserer Chinesisch-Kolumne bringen wir spannende Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen zur Sprache.
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Wurden Sie schon mal von Daddy-Duft eingenebelt? Altherrenwitze, Mansplaining, Breitbeinigkeit – auch den Chinesinnen stinkt es gewaltig, wenn Männer in den Alphamännchen-Modus schalten und den besserwissenden Macho raushängen lassen. Chinesische Damen rümpfen darüber mittlerweile auch sprachlich die Nase und wittern 爹味 diēwèi (im nordchinesischen Slang auch gerne 爹味儿 diēwèir gesprochen), wörtlich “Daddy-Geruch” (von 爹 diē “Papa, Vati, Dad” + 味 wèi “Geruch, Duft, Aroma; auch: Geschmack; Atmosphäre”).
Und was braucht man für ein vollendetes Baba-Bukett? Ganz einfach: eine Melange aus Besserwisserei, Überheblichkeit, männlichem Chauvinismus und Selbstverliebtheit, mit einem Hauch von väterlicher Altklugheit im Abgang sowie gerne auch noch einer Prise Proletentum. Typen, die dieses besondere Eau de Toilette im Alltag auftragen, haben (vermeintlich) den Dreh in allen Lebenslagen raus, die Weisheit mit Löffeln gefressen und explainen, pardon, “mansplainen” der Damenwelt die Welt. Letztere hat für solche Auftritte allerdings nur wenig übrig und ihre ganz eigene Erklärung: nämlich dass hier wohl jemand “übermäßig den Papi raushängen lässt” respektive “ziemlich dick Daddy-Duft aufträgt”, im chinesischen Neusprech heißt das: 爹味儿很浓 diēwèir hěn nóng oder 爹味儿很重 diēwèir hěn zhòng (wörtlich “der Daddyduft ist sehr intensiv / stark”).
Der Fairness halber muss gesagt werden, dass es im chinesischen Internetsprech auch “Mama-Aroma” gibt, nämlich 妈味 māwèi oder 妈味儿 māwèir. Dieser Gluckengeruch beschreibt eine Mischung aus prototypisch mamihaften Macken wie Geschwätzigkeit, nervigem Betüddeln, gebetsmühlenartigen Vorhaltungen, Beschwerden am laufenden Band und übermäßiger Besorgnis, kombiniert am besten auch noch mit einem mamihaften Look.
Feine Sprach-Nasen werden im menschlichen Miteinander in China auch noch allerlei andere Geruchs- und Geschmacksnuancen aufspüren, zum Beispiel “Schwestergeruch” (姐味儿 jiěwèir – jemand lässt die große Schwester raushängen), “Brudergeruch” (哥味儿 gēwèir – jemand lässt den großen Bruder raushängen) oder “Bossgeruch” (领导味儿 lǐngdǎowèir – jemand lässt den Chef raushängen). Werden Sie hier auf Chinesisch gerne auch selbst sprachlich kreativ und kreieren Sie Ihr eigenes Duftlabel!
Spezielle sprachliche Gerüche wabern übrigens nicht nur durch die Welt der Internetneologismen. Im Wörterbuch finden sich durchaus auch einige etablierte chinesische Begriffe mit Duftnote. So etwa die “Menschlichkeit” oder “menschliche Nähe / Wärme”, auf Chinesisch 人味儿 rénwèir (wörtlich: “Menschengeruch”) oder 人情味 rénqíngwèi (“Menschenliebegeruch”). Anwendungsbeispiel: 这封信没有人情味 Zhè fēng xìn méiyǒu rénqíngwèi “Dieses Schreiben ist total unpersönlich / hat keinen menschlichen Touch”. Zudem wäre da noch die “Altbackenheit, Abgedroschenheit, Uncoolness”, auf Chinesisch 土味 tǔwèi (wörtlich: “Erdgeruch”), wie zum Beispiel in 土味情话 tǔwèi qínghuà “abgedroschene Flirtsprüche”. Poetischem sagt man in China derweil nach, es habe “Gedichtgeschmack” beziehungsweise “Gedichtgeruch” (诗味儿 shīwèir). Und rund um das chinesische Frühlingsfest scheint jeder Winkel des Riesenreichs durchströmt von “Jahresgeruch” (年味 niánwèi), sprich: Neujahrsatmosphäre.
Es lohnt sich beim Chinesischlernen und Kulturaustausch mit China also nicht nur die Augen und Ohren offenzuhalten, sondern scheinbar auch die Nasenlöcher. Eines jedenfalls steht fest: Angesichts so vieler neuer Eindrücke und liebenswürdiger sprachlicher Bilder beweist man mit der Entscheidung, Chinesisch zu lernen, definitiv den richtigen Riecher.
Von Verena Menzel
Me too! ... in 20 Worten
diēwèir
"Daddy-Duft"
àirén
"iMenschen"
fàngyáng
"das Schaf rauslassen"
rénshè bēngtā
"Rollen-Kollaps"
hǔbèi-xióngyāo
"Tigerrücken & Bärentaille"
bānzhuān
"Backsteine schleppen"
zhínán’ái
"Chauvi-Cancer"
hǎiwáng
"Poseidon-Playboy"
hěn cài
"Voll gemüsig"
xiānán
"Garnelen-Guys"
kāichē
"Anzügliche Autofahrten"
chuànmén
"Besuchsmarathon"
tùnián
"Hasenjahr"
huángtáo guàntóu
"eingelegte Pfirsiche"
tuōkǒuxiù
"Stand-up-Comedy"
bēiguō
"Topfträger"
dàijià
"Vertretungsfahrer"
xiéyīngěng
"Wortspiele"
guāzǐliǎn
"Guazi-Kult"
zhìyù
"So geht Entschleunigung in China"
fàng gēzi
"Tauben fliegen lassen"
tiàocáo
"Futtertrog-Hopping"
diàndēngpào
"(überflüssige) Glühbirne"
hǔnián
"Tiger, Tiger, Tiger"
bàofùxìng xiāofèi
"Rachekäufe"
yǒngyuǎn de shén
"YYDS"
shuāngshíyī
"Doppelelffest"
xxxu
"Pssst!"
sùliào pǔtōnghuà
"Plastikchinesisch"
fěnsī
"Fannudeln"
tiáoxiū
"Ruhetagwechsel"
dǎ mǎsàikè
"ein Mosaik legen"
dǎ jiàngyóu
"Sojasoße schlagen"
pèngcí
"Porzellan anstoßen"
báicàijià
"Chinakohlpreise"
biāotídǎng
"Klickköder-Clique"
wūlóngqiú
"Oolong-Tor"
fānchē
"Karriere-Crash"
xuéxí-ing
"lern"-ing"
méng
"Mengmania"
zhòngcǎo
"Gräschen pflanzen"
tǎngpíng
"flachliegen"
mōyú
"Fische tätscheln"
bīngxiù
"Eisärmel"
kěn shēngròu
"rohes Fleisch nagen"
fán'ěrsài
"einen auf Versailles machen"
máodùn
"Von wegen Gegensätze"
bǐxīn
"Herzensschnipper"
duō hē rèshuǐ
"Trinkt mehr warmes Wasser!"
bèi lǜ le
"gegrünt werden"
jīwá
"Aufgehuhnte Kinder"
biǎoqíng
"Chinesische Emoticons"
TA
"Gendern auf Chinesisch"
chībō
"Essens-Livestream"
wǎnghóng
"Influencer, Internetstars"
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