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„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, formulierte es einst der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein sehr treffend. Mit jeder neuen Chinesisch-Vokabel setzt sich also das mentale China-Puzzle ein Stück weiter zusammen. In unserer Chinesisch-Kolumne bringen wir spannende Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen zur Sprache.
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„Dürfte ich Sie küssen?“ Dieses Sätzchen ist einer der Running-Gags unter Chinesischlernern (und -lehrern) weltweit bei der Vermittlung chinesischer Aussprache-Basics. Bekanntlich ist das Chinesische ja eine Tonsprache, sprich das Heben und Senken der Stimme nach bestimmten Mustern ist bedeutungsrelevant. „Vergreift“ man sich also „im Ton“, wird aus der unverfänglichen Kontaktaufnahmefloskel 请问 qǐng wèn „Dürfte ich Sie etwas fragen?“ (wörtlich „bitte fragen“) schnell eine vermeintliche Flirtattacke, nämlich 请吻 qǐng wěn „Dürfte ich Sie küssen?“ („bitte küssen“).
Soweit die Theorie – und das Entertainment im Klassenzimmer. Tatsächlich sind in China Meldungen über missverständliche Annäherungsversuche aufgrund von Aussprache-Handicaps bisher ausgeblieben. Denn natürlich wird Sprache immer im Kontext verstanden. Und so filtern Muttersprachler unbeholfene „Tondreher“ unsererseits zum Glück meist gnädig heraus.
Nichtsdestotrotz muss man sagen: Die chinesische Aussprache hat für westliche Zungen tatsächlich so ihre Tücken! Eh man sich versieht, hat man nämlich aus Panda-Besichtigungsplänen in Sichuan …. schwuppdiwupp … Brusthaar-Besichtigungspläne gemacht (看熊猫 kàn xióngmāo vs. 看胸毛 kàn xiōngmáo). Oder man erklärt „Schlange stehen gehen“ (去排队 qù páiduì) statt „Party machen gehen“ (去派对 qù pàiduì) zum beliebten Hipster-Zeitvertreib in Deutschland. Und bestimmt hat der eine oder andere China-Tourist am Bahnschalter schon mal melancholisch ein „Ticket Richtung Verletzung“ (伤害 shānghài) geordert und ist natürlich trotzdem in Shanghai (上海 Shànghǎi) gelandet.
Der Grund für die Aussprachkonfusion: Während wir im Deutschen unsere Silben fast beliebig aus dem Buchstabenbaukasten des Alphabets zu unzähligen Varianten zusammenbasteln können, kennt das Chinesische nur ein festes Set von An- und Auslauten und damit auch nur eine begrenzte Anzahl von Silben, rund 400 nämlich. Und aus diesem zugegebenermaßen etwas mageren Silbenpool müssen letztlich alle Wörter zusammengepinnt werden. Viele Begriffe sehen also in der Lautumschrift Pinyin – eine wichtige Krücke vor allem für uns als Fremdsprachenlerner – identisch oder zumindest fast identisch aus, sie unterscheiden sich also höchstens durch ihren Tonverlauf.
Berühmt-berüchtigt sind in diesem Zusammenhang übrigens auch Tonübungsreihen aus dem Chinesisch-Unterricht, die mit Bedeutungsveränderungen bei Intonationswechseln spielen. Allen voran der Klassiker: das von der Mutter geschimpfte Pferd (妈妈骂马吗? Māma mà mǎ ma? „Schimpft die Mutter das Pferd?“). Aber solche Silbenreihen, bei denen der Ton die Musik macht, gibt es wie Sand am Meer. Zum Beispiel kann das Wörtchen „mi“ je nach Betonung „Reis“, „Honig“, „Fan“ oder einfach „miau!“ heißen. Und bei der Silbe „bao“ weiß der Hörer nur dann, ob eine „Tasche“, ein „Leopard“, „statt“ oder „dünn“ gemeint ist, wenn man als Sprecher den richtigen Ton erwischt.
Die gute Nachricht ist wie gesagt: Meist rettet uns der Gesprächskontext! Denn die wenigsten reisen wohl nach Sichuan, um Brusthaare zu bestaunen (höchstens die von Pandabären vielleicht). Gemein wird es für Sprachenlerner nur dann, wenn sich zwei „Aussprachezwillinge“ im gleichen Wortfeld befinden beziehungsweise in irgendeiner Weise semantisch verwandt sind. Dann besteht nämlich die Gefahr, dass sie in einem bestimmten Kontext gleichermaßen plausibel sind. Echte Missverständnisse sind so vorprogrammiert.
Schließlich macht es ja einen gewissen Unterschied, ob Sie ihrem Fondsmanager auftragen, eine Aktie zu kaufen (买 mǎi) oder zu verkaufen (卖 mài), ob sich Ihre Firmenniederlassung in der Provinz Shanxi (山西 Shānxī) oder Shaanxi (陕西 Shǎnxī) befindet, ob Sie im Flugzeug von der Stewardess ein Glas (杯子 bēizi) oder eine Decke (被子 bèizi) möchten und ob sie einen Chinesisch- (汉语 Hànyǔ) oder Koreanisch-Kurs (韩语 Hányǔ) bei einer Sprachschule buchen.
War das Blinddate nun ein Flop, weil der Kerl einfach nicht vorzeigbar war (丑 chǒu „hässlich“) oder doch weil er unangenehm roch (臭 chòu „stinken(d)“)? Hat Ihre neue Freundin viele Katzen (猫 māo) oder viel Körperhaar (毛 máo)? Und haben Sie sich am Wochenende von der neuen Lieblingsserie auf Netflix nun drei Staffeln (季 jì) reingezogen oder doch nur drei Folgen (集 jí)?
Die Chinesen selbst schrecken die vielen Gleichlaute dagegen nicht. Im Gegenteil. Als Muttersprachler trippeln sie nicht nur federleicht über das Tonklavier, sondern haben gar das Spiel mit Mehr- und Doppeldeutigkeiten zu einem kleinen Volkssport erklärt.
Wortspiele mit Homophonen (谐音 xiéyīn – „Gleichlaut, Homophon“) haben im chinesischsprachigen Raum eine jahrhundertelange Tradition und auch heute noch Hochkonjunktur. Die aufstrebende Comedy-Szene im Reich der Mitte hat hierfür in den letzten Jahren den Trendbegriff des 谐音梗 xiéyīngěng („Wortspiel, lautlicher Gag“) geprägt, der als trockener Humor nicht nur durch Entertainment-Formate geistert, sondern vermehrt auch durch soziale Netzwerke oder einfach Kaffeepausengespräche. In der Interlandschaft gelten Homophone zudem als beliebter Zaubertrick, um die diversen Zensurfilter zu umgehen. Hier werden zum Beispiel sensible Begriffe (敏感词 mǐngǎncí) einfach durch unverfängliche Zeichen ersetzt, die genauso oder so ähnlich klingen. So weiß der Leser, was gemeint ist, die Maschine hingegen nicht.
Doch manchmal helfen selbst penible Aussprachvorbereitung und Last-Minute-Tontrainings nichts. Denn tatsächlich gibt es im Chinesischen einfach einige Wörter, die im Gesprochenen vollkommen identisch klingen. So sorgte ich zum Beispiel jüngst auf einer Pekinger Polizeistation für Furore, als ich um die Verlängerung meines „Haftausweises“ (jūliúzhèng) bat. Dabei wollte ich doch nur eine Neuauflage meines residence permit beantragen. Leider heißt jūliú sowohl „Haft“ (拘留) als auch „Aufenthalt“ (居留). Zur Unterscheidung des entsprechenden Papiers wird im Falle der „Aufenthaltsgenehmigung“ deshalb vorsorglich das Wörtchen 许可 xǔkě „Genehmigung“ eingefügt (居留许可证 jūliúxǔkězhèng), was ich leider vergessen hatte. Glücklicherweise ließ sich das Missverständnis schnell aufklären. Und so schreibe ich auch diese Kolumne hinterm Schreibtisch, und nicht hinter Gittern.
Von Verena Menzel
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