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„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, formulierte es einst der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein sehr treffend. Mit jeder neuen Chinesisch-Vokabel setzt sich also das mentale China-Puzzle ein Stück weiter zusammen. In unserer Chinesisch-Kolumne bringen wir spannende Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen zur Sprache.
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Wundern Sie sich bitte nicht, wenn auf WeChat Backsteine schleppende Frösche und Pandabären Ihr Chatfenster kreuzen. Machen Sie bitte Platz, wenn Cartoon-Schweinchen mit gelber Weste und Bauarbeiterhelm schwere Ziegelschubkarren vorbeischieben. Und zeigen Sie auch Verständnis, wenn Katzenpfötchen wild auf Laoptops einhämmern mit dem Bitte-nicht-stören-Hinweis 搬砖ing (bānzhuān-ing) – „gerade am Backsteintragen“ (mit englischer ing-Verlaufsform). Vielleicht sendet Ihnen auch ein chinesischer Kollege folgende Message: 不说了,我要搬砖了 (bù shuō le, wǒ yào bānzhuān le) „Ich klinke mich dann mal aus, ich muss Backsteine schleppen.“
Nein, Chinas Angestellte sind nicht unter die Häuslebauer gegangen. Sie haben lediglich aus dem Sprachsteinbruch eine neue Alltagsmetapher rausgehauen, die sich prima als Internet-Meme eignet. 搬砖 bānzhuān (von 搬 bān „tragen, umstellen, umräumen“ + 砖 zhuān „Backstein, Klinker, Ziegelstein“) ist im chinesischen Alltagssprachgebrauch neuerdings ein Synonym für schlecht bezahltes Rackern, Ackern und Schuften im Job. Die Ranklotz-Metaphorik trifft bei vielen Jungen den Nerv der Zeit, angesichts platzender Traumjobseifenblasen und Überstundenernüchterung. Bester Gradmesser für die Beliebtheit des Trendbegriffs: eine nicht enden wollende Liste an Chat-Bildchen und digitalen Stickersets (表情包 biǎoqíngbāo), die sich aufklappt, wenn man 搬砖 bānzhuān in die WeChat-Suchmaske für Emojis eintippt.
Der Ziegelstein-Zynismus ist Teil eines witzelnden Wortfeldes, das sich um die Unzufriedenheit im Job entsponnen hat. So verulken sich Chinas Büroangestellte gerne auch als 打工人 dǎgōngrén „Lohnarbeiter“. Dabei bezeichnete 打工 dǎgōng („arbeiten, jobben“, ganz wörtlich eigentlich „Arbeit schlagen“) ursprünglich nur Gelegenheitsjobs oder einfache Lohnarbeiten, wie sie zum Beispiel Wanderarbeiter in den Städten verrichten. Eintönige und körperlich anstrengende Tätigkeiten also, die nur einen mageren Lohn abwerfen. Manche White-Collar-Worker in Chinas Bürotürmen motzen nun, dass sie trotz aller Karrierehoffnungen und guter Ausbildung letztlich auch nur bessere Tagelöhner sind.
Noch eine Frustrationsschublade tiefer ist der 工具人 gōngjùrén angesiedelt, der „Werkzeugmensch“ (工具 gōngjù „Werkzeug, Instrument“ + 人 rén „Mensch“). Als solche schimpften sich die Chinesen früher, wenn sie sich in zwischenmenschlichen Beziehungen nur als Mittel zum Zweck missbraucht sahen oder in Partnerschaften zum willenlosen „Schweizer Taschenmesser“ avancierten, das dem oder der Liebsten als Laufbursche oder -mädchen jeden Wunsch von den Lippen ablas. Heute fühlt sich auch manch einer vom Chef zur Powerpoint-Zange oder zum Schreibtisch-Schraubenschlüssel instrumentalisiert. Gebührende Anerkennung und Vergütung der eigenen Leistungen? Fehlanzeige.
Besonders Chinas IT-Branche hechelt oft im Hamsterrad des 996-Überstunden-Übels. Angestellte der Tech-Branche haben sich daher scherzhaft den Namen 码农 mǎnóng „Code-Wanderarbeiter“ gegeben (von 码 mǎ für 代码 dàimǎ „Code“ wie in 写代码 xiě dàimǎ „einen Code schreiben“ + 农 nóng wie in 农民 nóngmín „Wanderarbeiter vom Land“). Auch das also eine Anspielung auf das schuftende Herr der eher schlecht bezahlten Wanderarbeiter, die Chinas Aufschwung der vergangenen Jahrzehnte auf ihren Schultern mitgetragen haben.
Scheinbar geht eben die Motivation vor die Hunde, wenn sich nach Jahren des harten Büffelns und Studierens auch der vermeintlich attraktive Bürojob mehr als Ziegelsteinbruch und weniger als Zuckerschlecken erweist. Man sei eben doch nur ein „Arbeitsköter“ (上班狗 shàngbāngǒu) respektive „Überstunden-Wauwau“ (加班狗 jiābāngǒu) und entsprechend „hundemüde“ (累成狗 lèi chéng gǒu) bellen Erschöpfte und Enttäuschte mit einer Prise Sarkasmus dann in Blogs und Posts. Auch das Gegenstück zum Backsteinschlepper-Modus (搬砖模式 bānzhuān móshì) hat im Mandarin natürlich längst eine bildhafte Bezeichnung gefunden. Wer keine Klinker klotzt, der „streichelt“ in China „Fische“. Denn 摸鱼 mōyú (wörtlich „Fische tätscheln / streicheln / grapschen“) ist das trendige chinesische Sprachpendant für Faulenzen am Arbeitsplatz.
Überstunden, Überarbeitung und sprachliche Übersprungshandlungen sind natürlich längst kein genuin chinesisches Phänomen. Im Westen lodert der Burnout schließlich mancherorts längst als gesellschaftlicher Flächenbrand. Auch wir ringen auf der Werktätigenwippe also um die richtige Work-Life-Balance. Vielleicht muss man manchmal nach fünf Uhr auch einfach Fünfe gerade sein lassen und auf Digital-Detox-Modus (数字排毒 shùzì páidú „Digital Detox“) schalten. Und da bietet das Chinesische just noch eine andere Form des „Backsteinverschiebens“ als Alternative an. Denn in einigen chinesischen Dialekten trägt 搬砖 bānzhuān auch die Bedeutung „Mahjong spielen“ (eigentlich ja 打麻将 dǎ májiàng). Bei einem Gläschen Grüntee in einem chinesischen Garten speckige Spielsteine klackernd über den grünen Filz des Mahjongtisches schieben – das verspricht doch Heilung für gestresste Büroseelen, für chinesische genauso wie für deutsche.
Von Verena Menzel
办公室词汇
Büro-ABC ... in 20 Worten
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"Daddy-Duft"
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"das Schaf rauslassen"
rénshè bēngtā
"Rollen-Kollaps"
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"Tigerrücken & Bärentaille"
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"Backsteine schleppen"
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"Chauvi-Cancer"
hǎiwáng
"Poseidon-Playboy"
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"Voll gemüsig"
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"Garnelen-Guys"
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