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„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, formulierte es einst der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein sehr treffend. Mit jeder neuen Chinesisch-Vokabel setzt sich also das mentale China-Puzzle ein Stück weiter zusammen. In unserer Chinesisch-Kolumne bringen wir spannende Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen zur Sprache.
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Corona und Krieg, Konkurrenz und Großstadtkoller - die Welt scheint momentan wenig heimelig. Auch in China tröpfeln Ungemach der Moderne und Mediengewitter konstant durch alle Bewusstseinsritzen. Vor allem junge Großstädter sehnen sich da nach einem Zufluchtsort für die gebeutelte Seele, oder zumindest einer Seelenmassage, als Minimalkompromiss. Heilung verspricht hier ein neues Genre, das das Programm schon im Namen trägt. 治愈 zhìyù “Heilung” oder auch 治愈系 zhìyùxì “Heilungsschule” oder “Heilungssystem” heißt der Trend, der in China mittlerweile in vielen Bereichen von Alltag und Lifestyle zarte Knospen treibt. Die Erde bereitet hat ihm der kompostierte Erschöpfungsfrust, der seinen sprachlichen Ausdruck in Schlagwörtern wie 内卷 nèijuǎn (überzogene, um sich selbstkreisende Konkurrenz) und 996-Maloche (九九六 jiǔ jiǔ liù - schuften von 9 bis 9 an 6 Tagen die Woche) findet, aber auch in der daraus folgenden “Flachliegen”-Bewegung (躺平 tǎngpíng - Resignation und Wettbewerbsverweigerung durch komplettes Ausklinken) und der sogenannten Sang-Kultur (丧文化 sàng wénhuà - eine Melancholie-Kultur, die unter anderem einen langsameren Lebensstil propagiert). Der Heilsamkeitstrend schubst das Gemütspendel nun quasi in die andere Richtung.
Zhìyù fasst ein ganzes Sammelsurium von Genres, Produkten und Phänomenen zusammen, die in jüngster Zeit in China sprießen. Allen gemeinsam ist die Idee der Entschleunigung, Schlichtheit und Rückkehr zur Natur. Im Westen kennt man diese Tendenz unter Trendbegriffen wie Achtsamkeit, Simplify your Life, Do it yourself oder Work-Life-Balance. Doch zhìyù ist in China noch mehr. Das Etikett der “Heilsamkeit” ist zu einem eigenen Genre-Label zum Beispiel für heilsame Spielfilme und Streamingserien, Musik, Comics und Animationsfilme geworden.
Tatsächlich ist der Begriff ein Lehnwort aus dem Japanischen. Hier gab es Mitte der neunziger Jahre nämlich schon einmal eine “Heilsamkeitswelle”, und zwar unter den Schlagwörtern ”iyashi” 癒し und “iyashikei” 癒し系, die die Chinesen nun einfach übersetzt haben. In Japan tauchte ”iyashi” erstmals im Jahr 1995 als eigenständiges Subgenre auf, nämlich als Folge des großen Hanshin-Erdbebens und des Sarin-Anschlags auf die Tokioter U-Bahn. Diese Ereignisse drückten das ohnehin von der wirtschaftlichen Rezession gedämpfte Stimmungsbarometer im Land endgültig an einen Tiefpunkt. Die Medizin, die sich viele Japaner daraufhin selbst verschrieben, waren Filme, Literatur und Mangas, in denen die Figuren ein friedliches, meist naturnahes Leben in beruhigender Umgebung führten. Die heilende Wirkung sollte auf das Publikum überspringen. Als die Stimmung im Land langsam wieder aufklarte, blieb das Genre. Bis heute erfreut sich ”iyashi” in Japan ungebrochener Beliebtheit.
In China treibt der Trend seine ganz eigenen Blüten. Zum Beispiel auf Social Media, wo DIY-Videos, Naturfilme und minimalistische Clips von schlichten Alltagstätigkeiten wie Kochen, Backen oder Heimwerken zu Klickmagneten werden. Früher noch als Greisenhobbys verschriene zenmäßige Zeitvertreibe chinesischer Senioren wie Gärtnern (养花 yǎng huā), Fischzucht (养鱼 yǎng yú), Teekultur (茶文化 chá wénhuà) oder Flanieren im Park (逛公园 guàng gōngyuán) liegen bei jungen Großstädtern nun wieder voll im Trend und gelten als neue Heilsbringer für ehemals Dopamin gedopte Dauerdattler. Ja, manche kraxeln sogar noch weiter auf der Zeitleiste zurück und streifen sich für Parkbummel oder Pagodenbesichtigungen traditionelle Han-Gewänder über, genannt 汉服 hànfú. Der sowohl nostalgische als auch fotogene Zwirn feiert auf Taobao reißenden Absatz. Zum unverzichtbaren Heilsvokabular zählen außerdem Begriffe wie 复古 fùgǔ (“Retro” oder “zurück zu den Wurzeln” - wörtl. Wiederbelebung des Alten), 乡愁 xiāngchóu (Heimweh oder Landlust) und das Tanken von 正能量 zhèngnéngliàng (positive Energie). Alles, was der suchenden Seele beim Baumeln hilft, gilt jungen Chinesen als “echt heilend” (很治愈 zhìyù). Und war die Gemütskur am Ende erfolgreich, “wurde” man geheilt (被治愈 bèi zhìyù). Vielleicht haben ja auch schon Worte manchmal eine gewisse heilsame Wirkung.
Von Verena Menzel
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