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„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, formulierte es einst der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein sehr treffend. Mit jeder neuen Chinesisch-Vokabel setzt sich also das mentale China-Puzzle ein Stück weiter zusammen. In unserer Chinesisch-Kolumne bringen wir spannende Besonderheiten und aktuelle Entwicklungen zur Sprache.
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Wussten Sie, dass es in China nicht nur iPhones, iPads und iWatches gibt, sondern auch iMenschen? Die haben aber nichts mit A wie Apple zu tun, sondern sind Teil eines B wie Buchstaben-Orakels, das seit geraumer Zeit durch Chinas Internetlandschaft geistert. Es handelt sich dabei um den Myers-Briggs-Typenindikator, kurz MBTI, einen berühmten Persönlichkeitstest aus dem Jahr 1944, mit dessen Hilfe die einst von Carl Gustav Jung entwickelten psychologischen Typen erstfasst werden sollen. Von manchem als Managementesoterik abgetan, ist das Tool bis heute dennoch der von Unternehmen weltweit am häufigsten eingesetzte Persönlichkeitstest.
Die Eckdaten in Kürze: Der MBTI teilt Menschen anhand von vier Gegensatz-Skalen in verschiedene Kategorien ein: Introvertierte (I) vs. Extrovertierte (E), sensorische (S) vs. intuitive Erleber (N), „Thinker“ (T) vs. „Feeler“ (F) und Beurteiler (J wie judging) vs. Wahrnehmer (P wie perceiving). Daraus ergeben sich 16 mögliche Persönlichkeitstypen, jede davon gelabelt mit einem vierstelligen Buchstaben-Code à la „ISTJ“ oder „ENFP“.
Horoskop und Tierkreiszeichen waren also gestern! Seit der MBTI (auf Mandarin: MBTI人格测试 MBTI réngé cèshì) sich im chinesischen Web wie ein Lauffeuer verbreitet hat, ist dieses Raster im Reich der Mitte zu einem schlagfertigen Smalltalk-Eispickel avanciert. Denn mit der Frage 你的MBTI是什么类型? Nǐ de MBTI shì shénme lèixíng? („Welcher MBTI-Typ bist du?“) lässt sich in krampfigen Kennenlernrunden schnell das Eis brechen (破冰 pòbīng).
In den Alltagssprachgebrauch und zum beliebten Online-Meme schaffte es vor allem die Dichotomie zwischen i-Menschen (i人 – àirén) und e-Menschen (e人 – yìrén), also Introvertierten und Extrovertierten. Wer sich früher für das Outing als Insichgekehrter (内向 nèixiàng – introvertiert) gegrämt hat, weil das im Vergleich zum Extrovertiert-Sein (外向 wàixiàng – extrovertiert) ziemlich uncool klang, stellt sich in China heute mit lockerer Selbstverständlichkeit als Teil der i-Community vor.
Falls Sie sich selbst nicht sicher sind, ob Sie zu den i- oder e-Menschen zählen, machen Sie einfach den Akku-Test: Wer seinen emotionalen Akku draußen in der sozialen Interaktion lädt (社交就是充电 shèjiāo jiù shì chōngdiàn), ist eindeutig ein e-Modell. Wem dagegen Smalltalk und Get-togethers die letzte Reserve aus dem Speicher fressen, die dann zuhause mühsam wieder aufgetankt werden muss (社交就是耗电 shèjiāo jiù shì hàodiàn), der ist ein i-Human.
In Anlehnung an die I-E-Gabelung, an der sich die Psychen scheiden, hat Chinas Internetgemeinde übrigens auch den scherzhaften englischen Neologismus des „ePhone“ ersonnen. Gemeint ist damit das stetig brummende und bimmelnde Smartphone extrovertierter „social butterflies“. Das Gegenstück dazu ist natürlich das „iPhone“ eines introvertierten i-Menschen, das sich nie regt.
Wirklich kompliziert wird es für Hundehalter. Nämlich dann, wenn das Psychogramm von Herrchen respektive Frauchen nicht so recht mit dem des Hundchens zusammenpassen will. Sprich: Wenn zum Beispiel i-Halter mit e-Wauwaus Gassi gehen. Während die Vierbeiner unterwegs schwanzwedelnd jedem Artgenossen entgegenspringen und freudig miteinander anbandeln, stehen i-Herrchen und i-Frauchen wie begossene Pudel daneben, gehüllt in betretenes Schweigen, bis sie beginnen an der Leine zu zerren, um aus der sozialen Schnappfalle wieder herauszukommen. Im chinesischen Netz kursieren unter dem Stichwort e-Hund (e狗 yì-gǒu – extrovertierter Hund) und i-Hund (i狗 ài-gǒu – introvertierter Hund) jede Menge amüsante Momentaufnahmen.
Wer die i-Menschen in seinem Umfeld übrigens mal ordentlich ins Bockshorn jagen will, für den bieten in China die Feuertopf-Restaurants der Kette Haidilao (海底捞 Hǎidǐlāo) die perfekte Spielwiese. Hier erwartet verschämte i-Einsiedler der Cringe-Kollaps schlechthin, insbesondere an Geburtstagen. Dann nämlich rückt das Personal bewaffnet mit Lautsprecher und Pappkrönchen an, um klatschend um den Hotpot versammelt den hauseigenen Birthday-Hit zu schmettern („Zu allen Sorgen sag‘ bye bye, zu allen Freuden sag‘ hi-hi…“, im Original: 跟所有的烦恼说拜拜,跟所有的快乐 say 嗨嗨 Gēn suǒyǒu de fánnǎo shuō báibái, gēn suǒyǒu de kuàilè say hāihāi). Die Blicke aller Nachbartische sind da natürlich garantiert.
Doch auch an ganz gewöhnlichen Tagen kann man bei Haidilao dafür sorgen, dass schüchterne Schlemmergäste verschämt unter die Tischkante rutschen. Man muss nur die handgezogenen Nudeln (拉面 lāmiàn) nach Hausmacherart bestellen. Diese werden nämlich in Kungfu-Manier von sportlichen Burschen – begleitet von einem feschen Tänzchen zu fetziger Musik – direkt am Tisch topfgerecht geschleudert und gezogen. Ein Spektakel, das bei zartbesaiteten Zeitgenossen alle Schames-Schweißdrüsen und Fluchtreflexe aktiviert. In Deutschland rächt man sich am besten bei nächster Gelegenheit stilecht mit der Einladung zu einer Faschingsveranstaltung mit Polonäse (Sie wissen schon – die Löcher und der Käse und so).
Auf die Palme treiben lassen sich aber auch noch andere Buchstaben-Bekannte. Nämlich zum Beispiel j-Menschen (j人 „dschey-rén“) und ihr Counterpart, die p-Menschen (p人 pìrén). Beide haben sich als Psycho-Prototypen in der chinesischen Umgangssprache ebenfalls einen Namen gemacht. Ähnlich wie i- und e-Menschen scheint auch dieses Gegensatzpaar von unterschiedlichen Planeten zu stammen. J-Jünger sind als penible Planer verschrien (爱计划 ài jìhuà), die nichts dem Zufall überlassen, während sich P-People am liebsten im Hier und Jetzt treiben lassen. Letztere sind wie freigeistige Chamäleons, dich sich mit Leichtigkeit an alle Umstände anpassen können (适应能力强 shìyìng nénglì qiáng).
Wer p-Menschen in den Wahnsinn treiben will, lässt sie vor einer gemeinsamen Urlaubsreise einen minutiöse Reiseplan (am besten in Excel) erstellen. Die Pulsfrequenz von j-Menschen dagegen kann man prima erhöhen, wenn man ihnen als Antwort auf die Frage nach der genauen Reiseroute mitteilt: „Das sehen wir dann!“ (到时候再说吧 dào shíhòu zài shuō ba!). Probieren Sie es einfach im persönlichen Umfeld aus – aber bitte auf eigene Gefahr!
Von Verena Menzel
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